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dig, kann nur heißen, es hält sich in diesem Sein je als eigentliches oder uneigentliches Existieren. Das Schuldigsein ist keine nur bleibende Eigenschaft eines ständig Vorhandenen, sondern die existenzielle Möglichkeit, eigentlich oder uneigentlich schuldig zu sein. Das »Schuldig« ist je nur im jeweiligen faktischen Seinkönnen. Das Schuldigsein muß daher, weil zum Sein des Daseins gehörend, als Schuldigseinkönnen begriffen werden. Die Entschlossenheit entwirft sich auf dieses Seinkönnen, das heißt versteht sich in ihm. Dieses Verstehen hält sich demnach in einer ursprünglichen Möglichkeit des Daseins. Eigentlich hält es sich in ihr, wenn die Entschlossenheit das, was sie zu sein tendiert, ursprünglich ist. Das ursprüngliche Sein des Daseins aber zu seinem Seinkönnen enthüllten wir als Sein zum Tode, das heißt zu der charakterisierten ausgezeichneten Möglichkeit des Daseins. Das Vorlaufen erschließt diese Möglichkeit als Möglichkeit. Die Entschlossenheit wird deshalb erst als vorlaufende ein ursprüngliches Sein zum eigensten Seinkönnen des Daseins. Das »kann« des Schuldigseinkönnens versteht die Entschlossenheit erst, wenn sie sich als Sein zum Tode »qualifiziert«.

Entschlossen übernimmt das Dasein eigentlich in seiner Existenz, daß es der nichtige Grund seiner Nichtigkeit ist. Den Tod begriffen wir existenzial als die charakterisierte Möglichkeit der Un-möglichkeit der Existenz, das heißt als schlechthinnige Nichtigkeit des Daseins. Der Tod wird dem Dasein nicht bei seinem »Ende« angestückt, sondern als Sorge ist das Dasein der geworfene (das heißt nichtige) Grund seines Todes. Die das Sein des Daseins ursprünglich durchherrschende Nichtigkeit enthüllt sich ihm selbst im eigentlichen Sein zum Tode. Das Vorlaufen macht das Schuldigsein erst aus dem Grunde des ganzen Seins des Daseins offenbar. Die Sorge birgt Tod und Schuld gleichursprünglich in sich. Die vorlaufende Entschlossenheit versteht erst das Schuldigseinkönnen eigentlich und ganz, das heißt ursprünglich1.



1 Das ursprünglich zur Seinsverfassung des Daseins gehörende Schuldig-sein ist vom theologisch verstandenen Status corruptionis wohl zu unterscheiden. Die Theologie kann in dem existenzial bestimmten Schuldigsein eine ontologische Bedingung seiner faktischen Möglichkeit finden. Die in der Idee dieses Status beschlossene Schuld ist eine faktische Verschuldung von völlig eigener Art. Sie hat ihre eigene Bezeugung, die jeder philosophischen Erfahrung grundsätzlich verschlossen bleibt. Die existenziale Analyse des Schuldigseins beweist weder etwas für noch gegen die Möglichkeit der Sünde. Man kann streng genommen nicht einmal sagen, daß die Ontologie des Daseins von sich aus diese Möglichkeit überhaupt offen läßt, sofern sie als philosophisches Fragen grundsätzlich nichts von der Sünde »weiß«.


Martin Heidegger - Sein Und Zeit