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        seins. Die existenziale Verfassung dieses Seienden kann den einzigen
        Leitfaden bieten für die Interpretation der Seinsart des »es«,
        das ruft.
        Zeigt die bisherige Analyse der Seinsverfassung des Daseins
        einen Weg, die Seinsart des Rufers und damit auch die des Rufens
        ontologisch verständlich zu machen? Daß der Ruf nicht ausdrücklich
        von mir vollzogen wird, vielmehr »es« ruft, berechtigt
        noch nicht, den Rufer in einem nichtdaseinsmäßigen Seienden zu
        suchen. Dasein existiert doch je immer faktisch. Es ist kein freischwebendes
        Sichentwerfen, sondern durch die Geworfenheit
        bestimmt als Faktum des Seienden, das es ist, wurde es je schon
        und bleibt es ständig der Existenz überantwortet. Die Faktizität
        des Daseins aber unterscheidet sich wesenhaft von der Tatsächlichkeit
        eines Vorhandenen. Das existierende Dasein begegnet
        ihm selbst nicht als einem innerweltlich Vorhandenen. Die
        Geworfenheit haftet aber auch dem Dasein nicht an als unzugänglicher
        und für seine Existenz belangloser Charakter. Als
        geworfenes ist es in die Existenz geworfen. Es existiert als Seiendes,
        das, wie es ist und sein kann, zu sein hat.
        Daß es faktisch ist, mag hinsichtlich des Warum verborgen
        sein, das »Daß« selbst jedoch ist dem Dasein erschlossen. Die
        Geworfenheit des Seienden gehört zur Erschlossenheit des »Da«
        und enthüllt sich ständig in der jeweiligen Befindlichkeit. Diese
        bringt das Dasein mehr oder minder ausdrücklich und eigentlich
        vor sein »daß es ist und als das Seiende, das es ist, seinkönnend
        zu sein hat«. Zumeist aber verschließt die Stimmung die Geworfenheit.
        Das Dasein flieht vor dieser in die Erleichterung der vermeintlichen
        Freiheit des Man-selbst. Diese Flucht wurde gekennzeichnet
        als Flucht vor der Unheimlichkeit, die das vereinzelte Inder-
        Welt-sein im Grunde bestimmt. Die Unheimlichkeit enthüllt
        sich eigentlich in der Grundbefindlichkeit der Angst und stellt als
        die elementarste Erschlossenheit des geworfenen Daseins dessen
        In-der-Welt-sein vor das Nichts der Welt, vor dem es sich ängstet
        in der Angst um das eigenste Seinkönnen. Wenn das im Grunde
        seiner Unheimlichkeit sich befindende Dasein der Rufer des
        Gewissensrufes wäre?
        Dagegen spricht nichts, dafür aber all die Phänomene, die bislang
        zur Charakteristik des Rufers und seines Rufens herausgestellt
        wurden.
        Der Rufer ist in seinem Wer »weltlich« durch nichts bestimmbar.
        Er ist das Dasein in seiner Unheimlichkeit, das ursprüngliche
        geworfene In-der-Welt-sein als Un-zuhause, das nackte »Daß« im
        Nichts

Martin Heidegger - Sein und Zeit