175

auf den Andern auf, wie er sich verhalten, was er dazu sagen wird. Das Miteinandersein im Man ist ganz und gar nicht ein abgeschlossenes, gleichgültiges Nebeneinander, sondern ein gespanntes, zweideutiges Aufeinander-aufpassen, ein heimliches Sich-gegenseitig-abhören. Unter der Maske des Füreinander spielt ein Gegeneinander.

Dabei ist zu beachten, daß die Zweideutigkeit gar nicht erst einer ausdrücklichen Absicht auf Verstellung und Verdrehung entspringt, daß sie nicht vom einzelnen Dasein erst hervorgerufen wird. Sie liegt schon im Miteinandersein als dem geworfenen Miteinandersein in einer Welt. Aber öffentlich ist sie gerade verborgen, und man wird sich immer dagegen wehren, daß diese Interpretation der Seinsart der Ausgelegtheit des Man zutrifft. Es wäre ein Mißverständnis, wollte die Explikation dieser Phänomene durch die Zustimmung des Man sich bewähren.

Die Phänomene des Geredes, der Neugier und der Zweideutigkeit wurden in der Weise herausgestellt, daß sich unter ihnen selbst schon ein Seinszusammenhang anzeigt. Die Seinsart dieses Zusammenhanges gilt es jetzt existenzial-ontologisch zu fassen. Die Grundart des Seins der Alltäglichkeit soll im Horizont der bisher gewonnenen Seinsstrukturen des Daseins verstanden werden.



§ 38. Das Verfallen und die Geworfenheit


Gerede, Neugier und Zweideutigkeit charakterisieren die Weise, in der das Dasein alltäglich sein »Da«, die Erschlossenheit des In-der-Welt-seins ist. Diese Charaktere sind als existenziale Bestimmtheiten am Dasein nicht vorhanden, sie machen dessen Sein mit aus. In ihnen und in ihrem seinsmäßigen Zusammenhang enthüllt sich eine Grundart des Seins der Alltäglichkeit, die wir das Verfallen des Daseins nennen.

Der Titel, der keine negative Bewertung ausdrückt, soll bedeuten: das Dasein ist zunächst und zumeist bei der besorgten »Welt«. Dieses Aufgehen bei ... hat meist den Charakter des Verlorenseins in die Öffentlichkeit des Man. Das Dasein ist von ihm selbst als eigentlichem Selbstseinkönnen zunächst immer schon abgefallen und an die »Welt« verfallen. Die Verfallenheit an die »Welt« meint das Aufgehen im Miteinandersein, sofern dieses durch Gerede, Neugier und Zweideutigkeit geführt wird. Was wir die Uneigentlichkeit des Daseins nannten1, erfährt jetzt durch die Interpretation des Verfallens



1 Vgl. § 9, S. 42 ff.


Martin Heidegger - Sein und Zeit