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Es bedarf schon einer sehr künstlichen und komplizierten Einstellung, um ein »reines Geräusch« zu »hören«. Daß wir aber zunächst Motorräder und Wagen hören, ist der phänomenale Beleg dafür, daß das Dasein als In-der-Welt-sein je schon beim innerweltlich Zuhandenen sich aufhält und zunächst gar nicht bei »Empfindungen«, deren Gewühl zuerst geformt werden müßte, um das Sprungbrett abzugeben, von dem das Subjekt abspringt, um schließlich zu einer »Welt« zu gelangen. Das Dasein ist als wesenhaft verstehendes zunächst beim Verstandenen.

Auch im ausdrücklichen Hören der Rede des Anderen verstehen wir zunächst das Gesagte, genauer, wir sind im Vorhinein schon mit dem Anderen bei dem Seienden, worüber die Rede ist. Nicht dagegen hören wir zunächst das Ausgesprochene der Verlautbarung. Sogar dort, wo das Sprechen undeutlich oder gar die Sprache fremd ist, hören wir zunächst unverständliche Worte und nicht eine Mannigfaltigkeit von Tondaten.

Im »natürlichen« Hören des Worüber der Rede können wir allerdings zugleich auf die Weise des Gesagtseins, die »Diktion« hören, aber auch das nur in einem vorgängigen Mitverstehen des Geredeten; denn nur so besteht die Möglichkeit, das Wie des Gesagtseins abzuschätzen in seiner Angemessenheit an das thematische Worüber der Rede.

Imgleichen erfolgt die Gegenrede als Antwort zunächst direkt aus dem Verstehen des im Mitsein schon »geteilten« Worüber der Rede.

Nur wo die existenziale Möglichkeit von Reden und Hören gegeben ist, kann jemand horchen. Wer »nicht hören kann« und »fühlen muß«, der vermag vielleicht sehr wohl und gerade deshalb zu horchen. Das Nur-herum-hören ist eine Privation des hörenden Verstehens. Reden und Hören gründen im Verstehen. Dieses entsteht weder durch vieles Reden noch durch geschäftiges Herumhören. Nur wer schon versteht, kann zuhören.

Dasselbe existenziale Fundament hat eine andere wesenhafte Möglichkeit des Redens, das Schweigen. Wer im Miteinanderreden schweigt, kann eigentlicher »zu verstehen geben«, das heißt das Verständnis ausbilden, als der, dem das Wort nicht ausgeht. Mit dem Viel-sprechen über etwas ist nicht im mindesten gewährleistet, daß dadurch das Verständnis weiter gebracht wird. Im Gegenteil: das weitläufige Bereden verdeckt und bringt das Verstandene in die Scheinklarheit, das heißt Unverständlichkeit der Trivialität. Schweigen heißt aber nicht stumm sein. Der Stumme hat umgekehrt die Tendenz zum »Sprechen«. Ein Stummer hat nicht nur nicht bewiesen, daß er schwei-


Martin Heidegger - Sein Und Zeit