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I. Seinsfrage und Entmachtung der φύσις

das Sein ausspricht — und es für das Seiende, zu dessen Eröffnung im Wissen und Gestalten ausspricht — geht die ganze Wucht der Frage notwendig dahin, durch das Sein erst einmal des Seienden Herr zu werden und inmitten des Seienden Fuß zu fassen.

Aber sofern ebenso notwendig die Nennung des Seins und die Entfaltung dieses Nennens im Befragen des Seienden schon eine Auslegung des Seins ist -und zwar eine aus der Ursprünglichkeit eines Anfangs erwachsende — wird in all dem für uns ein Wink verborgen liegen, dessen wesende Kraft ans Licht gezwungen werden muß. Versuchen wir solches, dann vollziehen wir schon einen ersten Schritt in der Aufstellung der Grundfrage.

Nur im groben Hinweis auf die anfänglichen Grundworte für das Sein sei dies jetzt getan. Die Grundworte sind φύσις, ἰδέα, οὐσία, die als »Natur«, als »Idee«, als »Substanz« in vielfacher Bedeutung das abendländische Denken tragen und bestimmen. Wird das Anfängliche Sagen vom Sein und damit das obzwar unentfaltete — aber deshalb um so unverfälschtere — wesentlich begriffen aus dem, von woher es spricht -dann zeigt sich: cpucm;: das SichentfaltendeAufgehen, worin und wodurch erst das Seiende ist, was es ist. Das Sichentfaltende Aufgehen aber ist das Hereinstehen von darin Anwesendem -Geschehens der Anwesenheit Anwesung. Darin liegt aber ein Zweifaches: das Sichentfalten von sich her — das In-sich-ständige — eines anderen schlechthin unbedürftigen; zugleich aber das Aufgehen als jenes, worin alles seinen Bestand und Dauer hat — das Beständige selbst. In-sich-ständige Beständigkeit ist reine Anwesenheit — Anwesung im vollen Sinne (ebenso wesentlich: das ἕν und ὄν »Einheit«; ἕρις die Entfaltende Sammlung, die gesammelt im Anwesen und durch dieses!)

Hierin liegt der Wink auf Gegenwart und damit auf die Zeit. Wenn jetzt dieses Wort genannt wird, so muß das Genannte erst recht unberührt bleiben von jeder heute geläufigen und späteren, aber auch damaligen Auslegung; nur als ein Wink in solches, was im Sagen der φύσις mächtig ist. So unberührt und in seine verschlossene Richtung das »Zeit« genannte lassen, daß wir uns


Martin Heidegger (GA 73 I) Zum Ereignis-Denken