339
214. Das Wesen der Wahrheit (Offenheit)

Dinge, ist in der Tat so etwas wie eine hohle Mitte, z. B. die des Kruges. Hier erkennen wir jedoch, daß nicht eine beliebige Leere nur durch die Wände umschlossen und von »Dingen« unerfüllt gelassen ist, sondern umgekehrt, die hohle Mitte ist das Bestimmend-Prägende und Tragende für die Wandung der Wände und ihrer Ränder. Diese sind nur die Ausstrahlung jenes ursprünglichen Offenen, das seine Offenheit wesen läßt, indem es solche Wandung (die Gefäßform) um sich herum und auf sich zu fordert. So strahlt im Umschließenden die Wesung des Offenen wider.

Entsprechend, nur wesentlicher und reicher, müssen wir die Wesung der Offenheit des Da verstehen. Seine umrandende Wandung ist freilich nichts dinghaftes Vorhandenes, ja überhaupt nicht ein Seiendes und selbst nicht das Seiende, sondern des Seins selbst, das Erzittern des Ereignisses im Winken des Sichverbergens.

In der ἀλήθεια, Un-verborgenheit, ist erfahren: das Verborgensein und die teil- und fallweise Überwindung und Beseitigung derselben. Aber schon dies, daß mit der Beseitigung (Wegnahme: α-privativum) eben das Offene wesen muß, in das jedes Unverborgene hereinsteht, ist nicht eigens verfolgt und gegründet. Oder müssen wir hier die Idee des Lichtes und der Helle bedenken in ihrem Bezug zum Entbergen als einem Vernehmen und »Sehen«? Gewiß (vgl. Auslegung des Höhlengleichnisses*). Gleichnishaft ist hier etwas gezeigt; und auch der vorige Hinweis auf den Krug ist doch Gleichnis. Kommen wir denn gar nicht über das Gleichnishafte hinaus? Nein und ja; denn umgekehrt ist ja die sinnlichste Sprache und Bildung eben nie nur »sinnlich«, sondern zuerst und nicht nur »auch dazu« verstanden.

Wie wenig aber auch die Leitvorstellung des Lichtes jenes Offene und seine Offenheit festhalten und ins Wissen heben konnte, zeigt sich darin, daß gerade die »Lichtung« und das


* Vorlesung Wintersemester 1931/32 »Vom Wesen der Wahrheit. Zu Platons Höhlengleichnis und Theätet« (Gesamtausgabe Band 34)


Martin Heidegger (GA 65) Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)