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120. Der Sprung


wollen. Aus dem Bisherigen gerechnet bedeutet dies den Verzicht auf eine Geltung und Verwendung im Sinne einer »Weltanschauung« und »Lehre« und Verkündigung.

Nicht Verkündigung neuer Lehren an einen festgefahrenen Menschenbetrieb, sondern Verrückung des Menschen aus der Notlosigkeit in die Not der Notlosigkeit als die äußerste.


120. Der Sprung


Wüßten wir das Gesetz der Ankunft und Flucht der Götter, dann faßten wir ein Erstes vom Anfall und Ausbleib der Wahrheit und somit von der Wesung des Seyns.

Seyn ist ja nicht, wie ein langgewohntes im Verfallsbereich des ersten Anfangs stehendes Vorstellen meint, die allgemeinste Eigenschaft und somit leerste Bestimmung des Seienden, gleich als ob wir »das Seiende« kennten und es nur gälte, jenes »Allgemeine« abzuziehen.

Seyn ist auch nicht das übergroße Seiende, das alles Übrige, vermeintlich bekannte »Seiende« verursachte und so oder anders umfaßte.

Seyn west als die Wahrheit des Seienden. Über dieses ist je schon mit der noch so roh und umwegig gefaßten Wesung des Seyns entschieden. Somit fällt die Entscheidung über die Wahrheit nach jeder Hinsicht im Sprung in die Wesung des Seyns.

Was meinen wir mit diesem, hier gleich jedem anderen leicht mißverständlichen Wort »Sprung«?

Der Sprung ist die Er-springung der Bereitschaft zur Zugehörigkeit in das Ereignis. Anfall und Ausbleib der Ankunft und Flucht der Götter, das Ereignis, ist nicht denkmäßig zu erzwingen, wohl dagegen ist denkerisch das Offene bereitzustellen, das als Zeit-Raum (Augenblicksstätte) die Zerklüftung des Seyns zugänglich und beständlich macht im Da-sein. Nur scheinbar wird das Ereignis durch den Menschen vollzogen, in Wahrheit geschieht das Menschsein als geschichtliches durch


Martin Heidegger (GA 65) Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)