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I. Vorbück

36. Das Erdenken des Seyns und die Sprache


Mit der gewöhnlichen Sprache, die heute immer weitgreifender vernutzt und zerredet wird, läßt sich die Wahrheit des Seyns nicht sagen. Kann diese überhaupt immittelbar gesagt werden, wenn alle Sprache doch Sprache des Seienden ist? Oder kann eine neue Sprache für das Seyn erfunden werden? Nein. Und selbst wenn dies gelänge und gar ohne künstliche Wortbildung, wäre diese Sprache keine sagende. Alles Sagen muß das Hörenkönnen mitentspringen lassen. Beide müssen des selben Ursprungs sein. So gilt nur das Eine: die edelste gewachsene Sprache in ihrer Einfachheit und Wesensgewalt, die Sprache des Seienden als Sprache des Seyns sagen. Diese Verwandlung der Sprache dringt in Bereiche, die uns noch verschlossen sind, weil wir die Wahrheit des Seyns nicht wissen. So wird gesagt vom »Verzicht der Verfolgung«, von der »Lichtung der Verbergung«, vom »Er-eignis«, vom »Da-sein«, nicht ein Herausklauben von Wahrheiten aus den Worten, sondern die Eröffnung der Wahrheit des Seyns in solchem gewandelten Sagen (vgl. Vorblick, 38. Die Erschweigung).


37. Das Seyn und seine Erschweigung*
(die Sigetik)


Die Grundfrage: wie west das Seyn?

Die Erschweigung ist die besonnene Gesetzlichkeit des Erschweigens (σιγάν). Die Erschweigung ist die »Logik« der Philosophie, sofern diese aus dem anderen Anfang die Grundfrage fragt. Sie sucht die Wahrheit der Wesung des Seyns, und diese Wahrheit ist die winkend-anklingende Verborgenheit (das Geheimnis) des Ereignisses (die zögernde Versagung).


* vgl. Vorlesung Sommersemester 1937 »Nietzsches metaphysische Grundstellung im abendländischen Denken. Die ewige Wiederkehr des Gleichen« (Gesamtausgabe Band 44), Schluß und alles über Sprache


Martin Heidegger (GA 65) Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)

Contributions to Philosophy (of the Event) pp. 62-63

GA 65