414
Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles

»Wenn es dagegen von der δόξα heisst sie beziehe sich auf das ἐνδεχόμενον, so ist unter denselben jede beliebige Erkenntniss gemeint, sofern sie nicht in ihrer objectiven Nothwendigkeit erkannt ist.«

Wo gibt es eigentlich solche Erkenntnis im faktischen Umgang? Dafürnahme, dafürnehmende nächste Auslegung und Ansprechen!


14. Seinsverwahrung und ἀρχή-Vorhabe.
Νοῦς (vgl. τέχνη)


Gerade in der ἀρχή-Verwahrung ist die eigentliche Funktion des νοῦς im eigentlichen Sinne zu sehen. Diese aber nicht überall gleichsinnig.

Beachtet man dies, dann rücken φρόνησις und σοφία in ihrer analogen (?) Struktur noch mehr zusammen, d. h. φρόνησις geht auch auf ἀρχαί, trotzdem diese scheinbar nur in der βουλή sind. Φρόνησις leistet gerade eigentliche seinshafte Verwahrung, und zwar gerade dadurch, daß sie das volle ›Wegen‹ zur vollen Aneignung bringt. Durch dieses Wegen hindurch bzw. gerade nur in ihm ist die ἀρχή eigentlich da — ›praktisch‹, d. h. als echtes Woraufhin bzw. Von wo aus des Besorgens. Die φρόνησις ist eigentlich die Seinsverwahrung auf das τέλος, wenn auch nicht Grunderfahrung; aber beides nicht zu trennen, d. h. Grunderfahrung hat ihr Licht. Grunderfahrung immer in einer faktisch proairetischen Situation, aus ihr heraus und für sie. Ἀρχή-Verwahrung ursprünglicher als im θεωρεῖν. In diesem perspektivisch erreichbar, bei φρόνησις respektivisch da!

Die σοφία dagegen nimmt die ἀρχαί ›theoretisch‹, d. h. gerade ›ohne Beziehung auf‹ Besorgen — situationsfrei; nur für ein Seiendes, das sich selbst besorgt, möglich. Θεωρεῖν abkünftig — eine bestimmt vollzogene Radikalisierung eines bestimmten Gesehenen und Besorgten, d. h. Verfallen, das selbst noch ruinant als eigentliches ἔργον gerechtfertigt wird.


Martin Heidegger (GA 62) Phänomenologische Interpretationen ausgewählter Abhandlungen des Aristoteles zu Ontologie und Logik