§ 7. Umgrenzung des Begriffs des Lebens          29
    
        Leben - Geistesgeschichte — Erlebnisse — Wissenschaft, 
        davon sogar Urwissenschaft — — ? Und doch wieder: das 
        Ursprungsgebiet soll nicht gegeben sein; es sei erst zu gewinnen.
        Das alles ergab sich uns in einer unstrengen, naiven, 
        vorwissenschaftlichen, >bittweisen< Betrachtung. Zugleich wurde 
        vorgedeutet auf die Merkwürdigkeit, daß das eigentliche 
        Gegenstandsgebiet der wissenschaftlichen Philosophie als 
        Phänomenologie im Leben an sich gar nicht anzutreffen sei. Was 
        heißt das: das Gegenstandsgebiet der Philosophie ist nicht 
        vorgegeben? Warum nicht? Woran liegt es? Welche Aufgaben 
        entspringen hieraus? Zunächst muß vor jeder weiteren Uberlegung 
        über die Frage, wie das Urspungsgebiet überhaupt vorgegeben 
        sein soll, und weiter, was »vorgeben« und »geben« 
        überhaupt heißen (im Sinne des radikalen phänomenologischen 
        Idealismus), erst einmal die Sphäre studiert werden, in 
        der anscheinend die Notwendigkeit einer ausdrücklichen 
        methodischen Gebung des Gegenstandsgebietes der Philosophie 
        begründet liegt.
        § 7. Vorläufige Umgrenzung des Begriffes des Lebens an sich 
        Was ist denn nun dieses >Leben an sich<, was ist mit dieser 
        Wortverbindung gemeint - das gilt es vorläufig zu umgrenzen. 
        [eines sei gleich bemerkt: Nicht handelt es sich um das Aufspüren 
        einer Urkraft des Lebens, um das Beiziehen naturwissenschaftlicher 
        oder gar im üblichen Sinne naturphilosophischer 
        Fragen, sondern um etwas ganz Anderes.] Etwas, was uns so 
        nahe liegt, daß wir uns meist gar nicht ausdrücklich darum 
        kümmern; Etwas, zu dem wir so gar keine distanz haben, um es 
        selbst in seinem »überhaupt« zu sehen; und die Distanz zu ihm 
        fehlt, weil wir es selbst sind, und wir uns selbst nur vom Leben 
        aus selbst, das wir sind, das uns (accusativ) ist, in seinen eigenen 
        richtungen sehen. [Das Fehlen der absoluten Distanz des Lebens 
        an sich und zu sich selbst.]

Martin Heidegger (GA 58) Grundprobleme der Phänomenologie