72 Analyse der Erlebnisstruktur
wird im einzelnen schwer zu sagen sein, vielleicht etwas, was mit Zauberei zu tun hat, oder etwas, hinter dem man guten Schutz gegen Pfeile und Steinwürfe fände, oder aber, was das Wahrscheinlichste ist, er wüßte damit nichts anzufangen, also er sähe bloß Farbenkomplexe und Flächen, eine bloße Sache, ein Etwas, das es einfachhin gibt? Also mein Sehen und das des Senegalnegers sind doch grundverschieden. Sie haben nur noch das Gemeinsame, daß in beiden Fällen etwas gesehen wird. Mein Sehen ist ein im höchsten Grade individuelles, das ich keinesfalls ohne weiteres der Erlebnisanalyse zugrundelegen darf, denn die Analyse soll doch am Ende im Zusammenhang einer Problembearbeitung allgemeingültige, wissenschaftliche Resultate liefern.
Gesetzt, die Erlebnisse wären grundverschieden, es gäbe überhaupt nur meine Erlebnisse, so behaupte ich, sind doch allgemeingültige Sätze möglich. Darin liegt, daß diese Sätze auch von dem Erlebnis des Senegalnegers gälten. Sehen wir nochmal von dieser Behauptung ab, und bringen wir uns das Erlebnis des Senegalnegers nochmal zur Gegebenheit. Selbst wenn er das Katheder als bloßes Etwas, das da ist, sähe, hätte es für ihn eine Bedeutung, ein bedeutungshaftes Moment. Es besteht aber die Möglichkeit, zur Evidenz zu bringen, daß die Annahme, der plötzlich hierher verpflanzte nichtwissenschaftliche (nicht: kulturlose) Senegalneger sähe das Katheder als bloßes Etwas, das existiert, widersinnig, nicht widersprechend, d. h. Zogisc/i-formal unmöglich ist. Vielmehr wird der Neger das Katheder sehen als ein Etwas, »mit dem er nichts anzufangen weiß«. Das Bedeutungshafte des »zeuglichen Fremdseins« und das Bedeutungshafte »Katheder« sind ihrem Wesenskern nach absolut identisch.
In dem Erlebnis des Kathedersehens gibt sich mir etwas aus einer unmittelbaren Umwelt. Dieses Umweltliche (Katheder, Buch, Tafel, Kollegheft, Füllfeder, Pedell, Korpsstudent, Straßenbahn, Automobil usf. usf.) sind nicht Sachen mit einem bestimmten Bedeutungscharakter, Gegenstände, und dazu