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§ 7. Zur Aufhellung des anfänglichen Seins

Darum sagt Heraklit den ersten Satz des Spruches 112 so: τὸ φρονεῖν ἀρετὴ μεγίστη. φρόνησις, φρονεῖν, φρήν ist das Denken, wenn wir es meinen nach der recht auszuschöpfenden Bedeutung unseres deutschen Wortes »sinnen« — auf etwas sinnen, ihm nach-sinnen und bei diesem weitausholenden sinnenden sich zu-muten einer Anmutung, zugleich sich be-sinnen und sinnend in das eigene Wesen einkehren, dessen Eigenes ja gerade besteht im Hingehören zu dem, worauf alles Hinhören geht. Im ›Sinnen‹ liegt das verweilende Ausholen jenes, was auch das griechische φρονεῖν meint, das wir am besten übersetzen durch »das sinnende Denken«. Den ersten Satz des Spruches können wir dann so wiedergeben: »Das sinnende Denken ist der höchste Edelmut«. Darauf folgt das καί, das den Satz über die σοφία nicht bloß anfügt an den Satz über das φρονεῖν, sondern das καί verbindet hier so, daß es sagt: und das ist so, weil nämlich die σοφία, deren Sorgfalt das φρονεῖν ist, das jetzt zu sagende Wesen hat. Das φρονεῖν ist die Sorgfalt für die σοφία, ist die Sorgsamkeit — φιλία τῆς σοφίας — ist die Philosophie im ursprünglichen vormetaphysischen Sinne.

Erst wenn wir wieder gelernt haben, das eigentliche Wesen des Wissens, der σοφία, erfahrend zu ahnen, verstehen wir auch wieder ein Geringes von der sorgfältigen Sorgsamkeit für dieses Wissen. Erst dann geht uns auf, was es ist mit der denkenden Sorgsamkeit für das eigentliche Wissen, mit der φιλία τῆς σοφίας, mit der ›Philosophie‹. Sie ist kein ›Fach‹, weder ein ›Hauptfach‹ noch ein ›Nebenfach‹. Sie ist eine Fuge, in der sich dem denkenden Menschen das Seyn zu-fügt, gesetzt, es sei die Fügung, daß diese Fuge unter Menschen ist.

Der Spruch 112 des Heraklit lautet in der unausgesprochenen, aber für uns notwendig auszusprechenden Ergänzung:


τὸ φρονεῖν ἀρετὴ μεγίστη, καὶ σοφίη ἀληθέα λέγειν καὶ ποιεῖν κατὰ φύσιν ἐπαίοντας. (τοῦ Λόγου).

»Das sinnende Denken ist der höchste Edelmut und dies, weil das Wissen ist: das Unverborgene (aus der Verbergung


Martin Heidegger (GA 55) Heraklit