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Beschränkung des Seins

innere Gefüge der πόλις, nicht ein Allgemeines, nicht solches, was über allem schwebt und keinen faßt, sondern die ursprünglich einigende Einheit des Auseinanderstrebenden. Der Eigensinn, ἴδια φρόνησις, dem der λόγος verschlossen bleibt, hält sich je nur an die eine oder die andere Seite und meint, darin das Wahre zu haben. Frg. 103 sagt: »in sich gesammelt, dasselbe ist der Ausgang und das Ende auf der Kreislinie«. Es wäre sinnlos, ξυνόν hier als das »Allgemeine« fassen zu wollen.

Den Eigensinnigen ist Leben nur Leben. Tod ist ihnen Tod und nur dieses. Aber das Sein des Lebens ist zugleich Tod. Jegliches, was ins Leben tritt, beginnt damit auch schon zu sterben, auf seinen Tod zuzugehen, und Tod ist zugleich Leben. Heraklit sagt Frg. 8: »Das Gegeneinanderstehende trägt sich, das eine zum anderen, hinüber und herüber, es sammelt sich aus sich.« Das Gegenstrebige ist sammelnde Gesammeltheit, λόγος. Das Sein alles Seienden ist das Scheinendste, d. h. das Schönste, das in sich Ständigste. Was die Griechen mit »Schönheit« meinten, [101] ist Bändigung. Versammlung der höchsten Gegenstrebigkeit ist πόλεμος, Kampf im Sinne der besprochenen Aus-einander-setzung. Für uns Heutige ist das Schöne umgekehrt das Entspannende, Ausruhende und deshalb für den Genuß bestimmt. Kunst gehört dann in den Bereich des Zuckerbäckers. Ob der Kunstgenuß zur Befriedigung des Feinsinnes der Kenner und Aestheten dient oder zur moralischen Erhebung des Gemütes, macht im Wesen keinen Unterschied. Den Griechen sagen ov und καλόν dasselbe [Anwesen ist reines Scheinen]. Die Aesthetik meint es anders; sie ist so alt wie die Logik. Die Kunst ist ihr Darstellung des Schönen im Sinne dessen, was gefällt als das Gefällige. Doch Kunst ist Eröffnung des Seins des Seienden. Wir müssen dem Wort »Kunst« und dem, was es nennen will, aus einer ursprünglich wiedergewonnenen Grundstellung zum Sein einen neuen Gehalt verschaffen.

Wir schließen die Kennzeichnung des Wesens des Logos, das Heraklit denkt, indem wir noch eigens auf ein Zwiefaches hinweisen, was darin jetzt noch ungehoben beschlossen liegt.


Martin Heidegger (GA 40) Einführung in die Metaphysik