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Zweite Form der Langeweile

§ 28. Das Tieferwerden der zweiten Form der Langeweile
gegenüber der ersten


Damit ist schon angedeutet, in welchem Sinne wir die zweite Form der Langeweile als die tiefere Langeweile gegenüber der ersten ansprechen müssen. Wir fragen aber nach diesem Tieferwerden der Langeweile, um aus der Richtung des Tieferwerdens für die ursprüngliche Tiefe des vollen Wesens der Langeweile eine Vorweisung und Vorzeichnung zu ent~ehmen. Es gilt jetzt, um diese Richtung zu verdeutlichen, das Tieferwerden der zweiten Form der Langeweile gegenüber der ersten ausdrücklich zusammenfassend zu kennzeichnen.

Bei der vorläufigen Abhebung der beiden Formen der Langeweile gegeneinander haben wir mehrfach auf einen Unterschied hingewiesen, der auf den ersten Blick handgreiflich ist, nämlich auf das unterschiedliche Verhältnis zur Zeit. In der zweiten Form lassen wir uns Zeit. Die ganze Situation ist dadurch bestimmt. In der ersten dagegen sind wir bedrängt durch die zögernde Zeit, d. h. hier haben wir gerade keine Zeit, wir wollen die Zeit nicht unnötig verlieren. Hieraus ergibt sich zunächst, daß diese erste Situation doch im Grunde die ernsthaftere ist; wir wollen keine Zeit verlieren, d. h. nichts von der unseren. Die langweilige Situation wird mit dadurch hervorgerufen, daß wir um unsere Zeit und damit um uns selbst bemüht und bekümmert sind. Dagegen in, der zweiten Form verschwenden wir am Ende die Zeit und lassen unser Selbst stehen. Die erste Situation ist also die höhere und ernstere gegenüber der zweiten, unernsten, spielerischen. Der höheren Situation muß demnach die tiefere Langeweile entsprechen. Denn nur, wo Höhe ist, da ist Tiefe, und umgekehrt. Es geht also nicht an, die zweite Form der Langeweile ohne weiteres als die tiefere zu nehmen — zumal der jetzt markierte Unterschied ein solcher ist mit Rücksicht auf das Zeitverhältnis und die Zeit selbst irgendwie das verborgene Wesen der Langeweile ausmacht.


Martin Heidegger (GA 29/30) Die Grundbegriffe der Metaphysik