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Aus der Nachschrift Mörchen

ὀρεκτόν als Grund seines Handelns, Motiv seines Entschlusses zu verstehen (vgl. 433 a 17 sqq.). Dieses Seiende heißt menschliches Dasein. κρίνειν ist durch λόγος bzw. νοῦς bestimmt. Einheit von κινεῖν und κρίνειν, ἄμφω ( 433 a 13), ist bestimmt durch προαίρεσις (vgl. 406 b 25), die Möglichkeit, etwas »vorwegnehmen« zu können als Grund der Handlung und des Entschlusses selbst. Darum ergibt sich dem Menschen die Möglichkeit des Gegensatzes zwischen ἐπιθυμία (vgl. 433 b 6), dem puren »Streben«, Triebleben, das blind ist, und dem Begreifen, dem begründenden Handeln. De anima Γ 10: Dieser Gegensatz von Trieb und eigentlich entschlossener, vernünftiger Handlung ist eine Möglichkeit nur bei lebendigen Wesen, die die Möglichkeit haben, Zeit zu verstehen. Sofern das Lebendige dem Trieb überlassen ist, ist es bezogen auf das, was gerade da ist und reizt, τὸ [ ... ] ἡδύ (433 b 9). Darauf strebt der Trieb hemmungslos, auf das Gegenwärtige, Verfügbare. Aber dadurch, daß im Menschen die αἴσθησις χρόνου liegt, hat der Mensch die Möglichkeit, sich τὸ μέλλον (433 b 7 sq.) zu vergegenwärtigen als das Mögliche und das, um dessentwillen er handelt. Diese Möglichkeit der Doppelung des Ωerhaltens zum Zukünftigen und Gegenwärtigen ermöglicht den Widerstreit. Inwiefern die Zeit so etwas ermöglicht, macht Aristoteles nicht deutlicher. Den Zusammenhang zwischen Zeit und λόγος grundsätzlich zu fassen, ist schwierig; desgleichen, ob die Tiere die Möglichkeit haben, Zeit wahrzunehmen.


85. (zu S. J 88)


Dies ist die erste allgemeine Grundlage für eine Beschreibung des menschlichen Daseins. Frage: Wie ist die spezifische Seinsart des Menschen? Das κρίνειν ist nicht beschränkt auf αἴσθησις, sondern auf den νοῦς. Dadurch verschiedene Möglichkeiten des Entdeckens von Seiendem (Nik. Ethik VI), fünf: 1) τέχνη (Cap. 4), 2) ἐπιστήμη (Cap. 6), 3) φρόνησις (Cap. 5), 4) σοφία (Cap. 7),


Martin Heidegger (GA 22) Grundbegriffe der antiken Philosophie