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§ 14. Das Wahrheitsproblem bei Aristoteles


es darin bezüglich des zu Entdeckenden überhaupt keine Ungegenwart mehr gibt. Das zu Entdeckende ist in die reine schlechthinnige Nähe gebracht. Mit anderen Worten, reine Entdecktheit des Seienden, wie sie von Aristoteles bezüglich des Einfachen gefaßt wird, diese reine Entdecktheit besagt nichts anderes als reine unverlegte und unverlegbare Gegenwart des Anwesenden. Entdecktheit, d. h. hier reine Gegenwart, ist als Gegenwart der höchste Modus für Anwesenheit. Anwesenheit aber ist die fundamentale Bestimmung von Sein. Also ist Entdecktheit als der höchste Modus für Anwesenheit, nämlich als Gegenwart, ein Modus von Sein und zwar der allereigentlichste Modus von Sein, die anwesende Anwesenheit selbst. Was also im Gegenwärtigen von etwas d. h. in diesem Entdecken besorgt wird, ist die Entdecktheit oder die Gegenwart des Anwesenden, und Anwesenheit ist der Charakter des Seienden selbst, sofern es ist. D. h. sofern das Sein als Anwesenheit verstanden wird und Entdecktheit als Gegenwart, Anwesenheit und Gegenwart Präsenz sind, kann Sein als Anwesenheit durch Wahrheit als Gegenwart bestimmt werden und muß es sogar, so daß Gegenwart die höchste Art der Anwesenheit ist. Schon Plato bezeichnet das Sein als Gegenwart. Und der Terminus οὐσία, den man so gänzlich sinnlos in der Philosophiegeschichte kolportiert als Substanz, heißt nichts anderes als Anwesenheit in einem bestimmt zu fassenden Sinne. Es bleibt dabei aber notwendig zu betonen, daß zwar die Griechen, Plato und Aristoteles, das Sein als οὐσία bestimmen, daß sie aber weit entfernt waren zu verstehen, was das nun eigentlich heißt, wenn sie das Sein als Anwesenheit und Gegenwart bestimmen. Gegenwart ist ein Charakter der Zeit. Sein verstehen als Anwesenheit aus der Gegenwart heißt Sein verstehen aus der Zeit.

Die Griechen ahnten nichts von dieser abgründigen Problematik, die sich auf tut, wenn man diesen Zusammenhang einmal gesehen hat, und von ihm her kann nun auch erst expliziert werden der Unterschied von Anwesenheit und Gegenwart und die Gegenwart selbst und deren Modi, und zugleich


Martin Heidegger (GA 21) Logik Die frage nach der Wahrheit

Logic : the question of truth p. 162-163