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§ 28. Die Entdecktheit

Verständnis wird zum Unverständnis. Damit ist nicht gesagt, daß überhaupt nichts mehr da wäre; denn das ist widersinnig, sofern zum Dasein immer Entdecktheit und damit Verständnis gehört. Es ist vielmehr etwas viel Fundamentaleres da als nichts, nämlich das Scheinverstehen, das So-Aussehen, als sei dieses Unverständnis selbst noch ein echtes. Im Dasein selbst liegt die Möglichkeit, daß es sich in die Täuschung bringt.


c) Die Ausbildung des Verstehens in der Auslegung


Die Ausbildung des Verstehens bewerkstelligt sich in der Auslegung. Wir sahen: Verstehen ist der Seinsvollzug der Entdecktheit; Auslegung ist der Vollzugsmodus dieses Seinsvollzuges der Entdecktheit. Auslegung ist die Grundform alles Erkennens.

Damit ist nach Früherem gesagt, daß Auslegung als solche nicht eigentlich erschließt, denn das besorgt das Verstehen bzw. das Dasein selbst. Auslegung besorgt immer nur die Hebung des Erschlossenen als Ausbildung der einem Verstehen eigenen Möglichkeiten. Die nächste alltägliche Art der Auslegung hat die Funktionsform der Appräsentation und zwar der Appräsentation der Bedeutsamkeit im Sinne der Hebung der jeweils zugänglichen Verweisungszusammenhänge.

Die Frage des Kindes, was ein bestimmtes Ding sei, wird dadurch beantwortet, daß man angibt, wozu es gebraucht wird, indem man das Vorfindliche aus dem her bestimmt, was man damit macht. Diese Bestimmung und Auslegung nimmt zugleich Bezug auf das In-Sein, auf den Umgang mit dem betreffenden Ding, und mit einer solchen Auslegung kommt nun dieses Ding erst eigentlich als Präsentes, Verständliches in die Umwelt, wenn man selbst in die Bewandtnis, die es mit dem Umweltding hat, gekommen ist. Die Auslegung appräsentiert das Wozu eines Dinges, und damit hebt sie die Verweisung des ›Um-zu‹ heraus. Sie bringt das zur Hebung, ›als was‹ das begegnende


Martin Heidegger (GA 20) Prolegomena zur Geschichte Zeitbegriffs