DRITTES KAPITEL
Die Frage nach dem Vorrang der φρόνησις oder der σοφία als der höchsten Weisen des ἀληθεύειν
(Met. I,2; 2. Teil; Eth. Nic. VI, 7-10; X, 6-7)
§' 18 Die Göttlichkeit der σοφία] und die Fraglichkeit der σοφία als Möglichkeit des Menschen. (Met. I,2; 2. Teil)
Die σοφία als ständiges Sein beim ἀεί. Das menschliche Dasein als »Knecht« (δούλη) der αναγκαία und ἄλλως ἔχοντα. Der Vorrang der σοφία im Hinblick auf das ἀληθεύειν
Die Frage ist, ob die σοφία κτήσις und £ξις des Menschen sein kann. Zunächst stellt Aristoteles diese Frage, indem er ein Zitat aus der griechischen Dichtung anführt1. Dieses besagt, daß die σοφία ein θεΐον ist. Aristoteles zeigt dies eigens Eth. Nic. X,7; 1177b26 sqq. Hier, Met. 1,2, spricht sich zunächst nur das natürliche Dasein aus, welches sagt, daß der θεός allein die Möglichkeit habe zur καθ᾽ αὐτὸν ἐπιστήμη (b31 sq), d.h. zur σοφία. Diese also ist allein den Göttern vorbehalten. Welche Möglichkeit sollten die Götter denn auch sonst noch haben? Ferner aber sagen die Dichter, daß die Götter neidisch auf die Menschen seien, daß sie ihnen also die σοφία nicht gönnen. Auf solche Ansprüche der Dichter aber sei, so sagt Aristoteles, nicht viel zu geben, weil sie, wie es auch im Sprichwort heißt, meistens schwindeln2. Die Götter können gar nicht neidisch
1 982b31: θβός Αν μόνος TOOT' ΐχοι γέρας. »Nur ein Gott dürfte dieses Vorrecht haben«. Semonides, Fragment 3,5; in: Anthologie lyrica sive lyricorum Graecorum veterum praeter Pindarum. Reliquiae potiores. Post Theodorum Bergkium quartum edidit Eduardus Hiller. Exemplar emendavit atque novis fragmentis auxit O. Crusius. Leipzig 1913.
2 κολλά νβύβονται άοιβοί (Met. 1,2; 983a4), »viel lügen die Dichter«.