125
§ 16 Fortsetzung: σοφία

Bisher wissen wir aus der γένεσις der σοφία, daß sie mehr und mehr absieht von der praktischen Abzweckung. Aber daß die σοφία μή προς χρήσιν ist3, ist eine Bestimmung, die nur negativ und nur beiläufig, mit Rücksicht auf anderes, gegeben ist; sie bestimmt noch nicht die σοφία selbst. Es ist nun positiv zu zeigen, daß die σοφία im Dasein selbst ihrer Möglichkeit nach vorgezeichnet ist, daß sie die Ausbildung einer primären Seinsmöglichkeit des Daseins selbst ist. Damit wird auch erst die Eigenständigkeit der σοφία ontologisch verständlich und die Diskussion bezüglich der φρόνησις auf den rechten Boden gebracht. Es wird die Möglichkeit aufgewiesen, daß die φρόνησις 1. zwar nicht mehr die ζωή als πρακτόν zum Thema hat, aber 2. als ἀληθεύειν doch eine Seinsart der ζωή ist.


b) Der Ursprung der σοφία aus dem Dasein selbst, θαυμάζειν und άπορεΐν als Ursprung der Philosophie. Die im Dasein selbst liegende Tendenz auf das reine θεωρεῖν


Schon im primitiven und alltäglichen Dasein liegt die Wurzel des eigenständigen Nur-Betrachtens der Welt. Aristoteles zeigt, daß die σοφία nicht nur zufällig und nachträglich nicht auf ποίηστς und πρᾶξις geht, sondern daß das anfänglich und ursprünglich so ist. ότι δ᾽ ού ποιητική, δῆλον καὶ ἐκ τῶν πρώτων φιλοσόφησαντων. διά γὰρ τό θαυμάζειν οἱ άνθρωποι και νΰν καὶ τό πρώτον ήρξαντο φιλοσοφείν, έξ αρχής μέν τά πρόχειρα τῶν άπορων θαυμάσαντες, είτα κατά μικρόν οὕτω προϊόντες καὶ περί τῶν μειζόνων διαπορήσαντες, οίον περί τε τῶν τῆς σελήνης παθημάτων καὶ τῶν περί τόν ήλιον [καὶ περί άστρων] καὶ περί τῆς τοΰ παντός γενέσεως (Met 1,2; 982b10 sqq). Daß die σοφία von Anfang an neben der ποίησης eine eigenständige Seinsart des Daseins ausmacht, wird aus zwei primären Vollzugsmomenten des Daseins sichtbar: 1. aus dem θαυμάζειν, 2. aus dem διαπορεϊν4.


3 Met. 1,2: 982b24 sq: δι" ούδεμίαν χρείαν έτέραν.

4 s. Anhang.


Martin Heidegger (GA 19) Platon Sophistes