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Übersicht über die Weisen des ἀληθεύειν

§ 5. Die erste Gliederung der fünf Preisen des ἀληθεύειν
(Eth. Nic.VI, 2)


a) Die beiden Grundarten des λόγον ἔχον: ἐπιστημονικόν und λογιστικόν


ὑποκείσθω δύο τὰ λόγον ἔχοντα (Eth. Nic. VI, 2; 1139a6), »zugrundegelegt sei, daß es zwei Grundarten des λόγον ἔχον gibt«. Diese sind 1139all sq:

1. das ἐπιστημονικόν: das, was Wissen mit ausbilden kann; derjenige λόγος, der mit beiträgt zur Ausbildung des Wissens,

2. das λογιστικόν: das, was das βουλεύεσθαι, das umsichtige Betrachten, das Überlegen, mit ausbilden kann; derjenige λόγος, der mit beiträgt zur Ausbildung des Überlegens.

Im Hinblick auf diese unterscheidet Aristoteles die genannten Weisen des ἀληθεύειν:

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1. ἐπιστημονικόν ἐπιστήμη σοφία 2. λογιστικόν τέχνη φρόνησις

Hier kommt der νοῦς zunächst scheinbar nicht unter. Jedoch ist zu beachten, daß alle vier Weisen des ἀληθεύειν im νοεῖν da sind; sie sind eine bestimmte Vollzugsart des νοεῖν, das διανοεῖν.

Die Unterscheidung des ἐπιστημονικόν und des λογιστικόν ist gewonnen im Hinblick auf das, was im Ansprechen und Besprechen aufgeschlossen wird; sie ist gewonnen von dem Seienden selbst her, das im ἀληθεύειν zur Aneignung kommt. Das ἐπιστημονικόν ist dasjenige, ᾧ θεωροῦμεν τὰ τοιαῦτα τῶν ὄντων ὅσων αἱ ἀρχαὶ μὴ ἐνδέχονται ἄλλως ἔχειν (a6 sqq); es ist dasjenige, »mit dem wir hinsehen auf das Seiende, bei dem sich die ἀρχαί nicht anders verhalten können«, das Seiende, das den Charakter des ἀίδιον (b23), des Immerseins, hat. Das λογιστικόν dasjenige, ᾧ θεωροῦμεν, mit dem wir hinsehen auf das Seiende, das ἐνδεχόμενον ἄλλως ἔχειν (vgl. 1140a1), »das auch anders sein kann«. Das ist das Seiende, mit dem τέχνη und φρόνησις zu tun

GA 19

Martin Heidegger (GA 19) Platon Sophistes