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Übersicht über, die Weisen des ἀληθεύειν

Dafürhalten, etwas für etwas halten, und die δόξα, die Ansicht, Meinung. Diese beiden Weisen des ἀληθεύειν charakterisieren das menschliche Dasein in seinem ἐνδέχεται: ἐνδέχεται διαψεύδεσθαι; sofern sich das menschliche Dasein in ihnen bewegt, kann es sich täuschen. Die δόξα ist nicht ohne weiteres falsch; sie kann falsch sein; sie kann das Seiende verstellen, sich davorschieben. Alle diese verschiedenen Weisen des ἀληθεύειν stehen im Zusammenhang mit dem λόγος; alle, außer dem νοῦς, sind hier μετὰ λόγου; es gibt keine Umsicht, kein Verstehen, das nicht Sprechen wäre. Die τέχνη ist das Sich-Auskennen im Besorgen, Hantieren, Herstellen, das sich in verschiedenen Graden ausbilden kann, wie z.B. beim Schuster und Schneider; sie ist nicht das Hantieren und Machen selbst, sondern eine Erkenntnisart, eben das Sich-Auskennen, das die ποίησις leitet. [16] Die ἐπιστήμη ist der Titel für das, was man als Wissenschaft bezeichnet. Die φρόνησις ist die Umsicht (Einsicht), die σοφία das eigentliche Verstehen, der νοῦς das Vermeinen, welches das Vermeinte vernimmt. Das νοεῖν taucht schon sogleich am entscheidenden Beginn der griechischen Philosophie auf, wo das Schicksal der griechischen und abendländischen Philosophie entschieden wird, bei Parmenides: Dasselbe ist das Vermeinen und das Vermeinte.

Wenn wir dem nachgehen, was Aristoteles über die Weisen des Aufdeckens sagt, gewinnen wir:

1. die Orientierung über die möglichen Wege, die dem griechischen Dasein offen waren, das Seiende der Welt zu erfahren und zu befragen,

2. einen Vorblick auf die verschiedenen Seinsgebiete, die in den verschiedenen Weisen des ἀληθεύειν erschlossen werden, sowie einen Vorblick auf deren charakteristische Seinsbestimmungen,

3. ein erstes Verständnis, innerhalb welcher Grenzen griechische Forschung sich hielt.

Mit diesem Dreifachen gewinnen wir den Boden, auf dem sich Platos Nachforschungen nach dem Sein des Seienden als


Martin Heidegger (GA 19) Platon Sophistes