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Zweiter Teil

erst Unverborgenheit gewährt(20). Das ist die Lichtung des Offenen. Wir fragen: Offenheit wofür? Wir haben es schon bedacht, daß der Weg des Denkens, des spekulativen und des intuitiven, der durchmeßbaren Lichtung bedarf. In ihr beruht aber auch das mögliche Scheinen, d. h. das mögliche Anwesen der Anwesenheit selber.(21)

Was die Unverborgenheit vor allem anderen als erstes gewährt, ist der Weg, auf dem das Denken dem einen nachgeht und es vernimmt: δπως εστιν ... εΐναΐ: daß anwest Anwesen. Die Lichtung gewährt allem zuvor die Möglichkeit des Weges zur Anwesenheit und gewährt das mögliche Anwesen dieser selbst. Die ἀλήθεια, die Unverborgenheit, müssen wir als die Lichtung denken, die Sein und Denken, deren Anwesen zu und für einander erst gewährt. Das ruhige Herz der Lichtung(22) ist der Ort der Stille, aus dem her es dergleichen wie die Möglichkeit des Zusammengehörens von Sein und Denken, d.h. Anwesenheit und Vernehmen erst gibt. In dieser Verbundenheit gründet der mögliche Anspruch auf eine Verbindlichkeit des Denkens. Ohne die voraufgehende Erfahrung der ἀλήθεια als der Lichtung bleibt alles Reden von Verbindlichkeit und Unverbindlichkeit des Denkens bodenlos. Woher hat Platons Bestimmung der Anwesenheit als ἰδέα ihre Verbindlichkeit? Im Hinblick worauf ist die Auslegung des Anwesens als ἐνέργεια bei Aristoteles verbindlich?

(20) d.h. die Lichtung

(21) εστι γάρ ειναι
dies das nicht zitternde, nicht schwankende — sondern
ruhige Herz
stille
alles Folgende zu »Lichtung« Gesagte gehört in den anderen
Anfang — den An-Fang
erfahren zwar im Echo des Parmenides — geschicklich —
jedoch zuvor gedacht in der freilich noch kaum geklärten
und darum auch nicht sagbaren »Seinsfrage« in Sein und Zeit

*

vgl. »Bemerkung im Lehrgedicht des Parmenides« in: Tabula gratulatoria März 1973 für H. E. Holthusen, Präsident der Berliner Akademie der Schönen Künste [GA Bd. 15, S. 403 ff.]

(21) anders als bei Parmenides


Martin Heidegger (GA 14) Zur Sache des Denkens