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Zeit und Sein

Wir sagen nicht: Sein ist, Zeit ist, sondern: Es gibt Sein und es gibt Zeit- Zunächst haben wir durch diese Wendung nur den Sprachgebrauch geändert. Statt »es ist«, sagen wir »es gibt«.

Um über den sprachlichen Ausdruck zurück zur Sache zu gelangen, müssen wir erweisen, wie sich dieses »Es gibt« erfahren und erblicken läßt. Der geeignete Weg dahin ist der, daß wir erörtern, was im »Es gibt« gegeben wird, was »Sein« besagt, das — Es gibt; was »Zeit« besagt, die — Es gibt. Dementsprechend versuchen wir, auf das Es vorzublicken, das Sein und Zeit — gibt. Also vorblickend werden wir noch in einem anderen Sinne vor-sichtig. Wir versuchen, das Es und sein Geben in die Sicht zu bringen und schreiben das »Es« groß.

Wir denken zuerst dem Sein nach, um es selbst in sein Eigenes zu denken.

Wir denken sodann der Zeit nach, um sie selbst in ihr Eigenes zu denken.

Dadurch muß sich die Weise zeigen, wie es Sein, wie es Zeit gibt. In diesem Geben wird ersichtlich, wie jenes Geben zu bestimmen sei, das als Verhältnis erst beide zueinander hält und sie er-gibt.

Sein, dadurch jegliches Seiende als ein solches gezeichnet ist, Sein besagt Anwesen. Im Hinblick auf das Anwesende gedacht, zeigt sich Anwesen als Anwesenlassen. Nun aber gilt es, dieses Anwesenlassen eigens zu denken, insofern Anwesen zugelassen wird. Anwesenlassen zeigt darin sein Eigenes, daß es ins Unverborgene bringt. Anwesen lassen heißt: Entbergen, ins Offene bringen. Im Entbergen spielt ein Geben, jenes nämlich, das im Anwesen-lassen das Anwesen, d.h. Sein gibt.

(Die Sache »Sein«, sie eigens denken, dies verlangt, daß unser Nachsinnen der im Anwesenlassen sich zeigenden Weisung folgt. Sie erweist im Anwesenlassen das Entbergen. Aus diesem aber spricht ein Geben, ein Es gibt.)

Indes bleibt für uns das jetzt genannte Geben noch ebenso dun-kel wie das hier genannte Es, das gibt.

Das Sein, es selbst eigens denken, verlangt, vom Sein abzusehen, sofern es wie in aller Metaphysik nur aus dem Seienden her und


Martin Heidegger (GA 14) Zur Sache des Denkens

On Time and Being and p. 5