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Aus einem Gespräch, von der Sprache

J Im Erscheinen, wie Kant es denkt, müssen wir schon das Gegenstehen miterfahren.

F Das ist nötig, nicht allein um Kant recht zu verstehen, sondern um vor allem das Erscheinen der Erscheinung, wenn ich so sagen darf, ursprünglich zu erfahren.

J Wie geschieht dies?

F Die Griechen haben erstmals die φαινόμενα, die Phänomene, als solche erfahren und gedacht. Doch hierbei ist ihnen die Prägung des Anwesenden in die Gegenständigkeit durchaus fremd; φαίνεσθαι heißt ihnen: sich zum Scheinen bringen und darin erscheinen. Das Erscheinen bleibt so der Grundzug des Anwesens von Anwesendem, insofern dieses in die Entbergung aufgeht.

J Sie gebrauchen somit in dem Titel »Ausdruck und Erscheinung« das zweite Wort im griechischen Sinne?

F Ja und nein. Ja, insofern mir der Name »Erscheinung« nicht die Gegenstände als Gegenstände, und diese vollends nicht als Gegenstände des Bewußtseins, und d. h. stets des Selbstbewußtseins, nennt.

J Also kurz gesagt: Erscheinung nicht im Kantischen Sinne.

F Die Absetzung gegen Kant reicht nicht weit genug. Denn auch dort, wo man den Namen »Gegenstand« für das Anwesende als das Insichstehende gebraucht und die Kantische Auslegung der Gegenständigkeit ablehnt, denkt man keineswegs schon das Erscheinen im Sinne der Griechen, sondern im Grunde, allerdings in einem sehr versteckten Sinne, doch nach der Art von Descartes: vom Ich als dem Subjekt her.


Martin Heidegger (GA 12) Unterwegs zur Sprache