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Die Sprache

Das Zuvorkommen in der Zurückhaltunga bestimmt die Weise, nach der die Sterblichen dem Unter-Schied entsprechen. Auf diese Weise wohnen die Sterblichen im Sprechen der Sprache.

Die Sprache spricht. Ihr Sprechen heißt den Unter-Schied kommen, der Welt und Dinge in die Einfalt ihrer Innigkeit enteignet.

Die Sprache spricht.

Der Mensch spricht, insofern er der Sprache entspricht. Das Entsprechen ist Hören. Es hört, insofern es dem Geheiß der Stille gehört.

Nichts liegt daran, eine neue Ansicht über die Sprache vorzutragen. Alles beruht darin, das Wohnen im Sprechen der Sprache zu lernen. Dazu bedarf es der ständigen Prüfung, ob und inwieweit wir das Eigentliche des Entsprechens vermögen: das Zuvorkommen in der Zurückhaltung. Denn:

Der Mensch spricht nur, indem er der Sprache entspricht.

Die Sprache spricht.

Ihr Sprechen spricht für uns im Gesprochenen:


Ein Winterabend

			Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
			Lang die Abendglocke läutet.
			Vielen ist der Tisch bereitet
			Und das Haus ist wohlbestellt.
		
			Mancher auf der Wanderschaft
			Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
			Golden blüht der Baum der Gnaden
			Aus der Erde kühlem Saft.
		
			Wanderer tritt still herein; 
			Schmerz versteinerte die Schwelle. 
			Da erglänzt in reiner Helle 
			Auf dem Tische Brot und Wein.
		

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Martin Heidegger (GA 12) Unterwegs zur Sprache