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Die Sprache


Geläut der Stille für das Hören der Sterblichen zu verlauten. Nur insofern die Menschen in das Geläut der Stille gehören, vermögen die Sterblichen auf ihre Weise das verlautende Sprechen.

Das sterbliche Sprechen ist nennendes Rufen, Kommen-Heißen von Ding und Welt aus der Einfalt des Unter-Schiedes. Das rein Geheißene des sterblichen Sprechens ist das Gesprochene des Gedichtes. Eigentliche Dichtung ist niemals nur eine höhere Weise (Melos) der Alltagssprache. Vielmehr ist umgekehrt das alltägliche Reden ein vergessenes und darum vernutztes Gedicht, aus dem kaum noch ein Rufen erklingt.

Der Gegensatz zum rein Gesprochenen, zum Gedicht, ist nicht die Prosa. Reine Prosa ist nie »prosaisch«. Sie ist so dichterisch und darum so selten wie die Poesie.

Heftet man die Aufmerksamkeit ausschließlich an das menschliche Sprechen, nimmt man dieses lediglich als die Verlautbarung des Inneren im Menschen, hält man das so vorgestellte Sprechen für die Sprache selbst, dann kann das Wesen der Sprache immer nur als Ausdrucka und Tätigkeit des Menschen erscheinen. Das menschliche Sprechen ruht aber als Sprechen der Sterblichen nicht in sich. Das Sprechen der Sterblichen beruht im Verhältnis zum Sprechen der Sprache.

Zu seiner Zeit wird es unumgänglich, dem nachzudenken, wie sich im Sprechen der Sprache als dem Geläut der Stille des Unter-Schiedes das sterbliche Sprechen und seine Verlautbarung ereignet. Im Verlautenb, sei dies Rede oder Schrift, ist die Stille gebrochen. Woran bricht sich das Geläut der Stille? Wie gelangt die Stille als die gebrochene in das Lauten des Wortes? Wie prägt das gebrochene Stillen die sterbliche Rede, die in Versen und Sätzen erklingt?

Gesetzt, dem Denken glücke eines Tages, auf diese Fragen

a expression (Mallarmé)

b vgl. W. v. Humboldt, »Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts« über Laut und Artikulation - alles im Bezirk der Subjekt-Objekt-Beziehung


Martin Heidegger (GA 12) Unterwegs zur Sprache