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Was ist das — die Philosophie?

Die Philosophie ist unterwegs zum Sein des Seienden, d. h. zum Seienden hinsichtlich des Seins. Aristoteles erläutert dies, indem er in dem angeführten Satz auf das τί τὸ ὄν, was ist das Seiende? eine Erläuterung folgen läßt: τοΰτό έστι τίς ή οὐσία; in der Übersetzung gesprochen: »Dies (nämlich τί τό öv) bedeutet: was ist die Seiendheit des Seienden?« Das Sein des Seienden beruht in der Seiendheit. Diese aber — die οΰσία — bestimmt Platon als ἰδέα, bestimmt Aristoteles als die ένέργεια.

Im Augenblick ist es noch nicht nötig, genauer zu erörtern, was Aristoteles mit ένέργεια meint und inwiefern sich die οὐσία durch die ένέργεια bestimmen läßt. Wichtig ist jetzt nur dies, daß wir darauf achten, wie Aristoteles die Philosophie in ihrem Wesen umgrenzt. Er sagt im ersten Buch der »Metaphysik« (Met. A 2, 982 b 9 sq) folgendes: die Philosophie ist ἐπιστήμη τῶν πρώτων ἀρχῶν καὶ αἰτιῶν θεωρητικήν. Man übersetzt ἐπιστήμη gern durch »Wissenschaft«. Das ist irreführend, weil wir allzuleicht die moderne Vorstellung von »Wissenschaft« einfließen lassen. Die Ubersetzung von έπιστήμη durch »Wissenschaft« ist auch dann irrig, wenn wir »Wissenschaft« in dem philosophischen Sinne verstehen, den Fichte, Schelling und Hegel meinen. Das Wort ἐπιστήμη leitet sich von dem Participium ἐπιστάμενος her. So heißt der Mensch, insofern er für etwas zuständig und geschickt ist (Zuständigkeit im Sinne von appartenance). Die Philosophie ist έπιστήμη τις, eine Art von Zuständigkeit, θεωρητική, die das θεωρειν vermag, d. h. auszuschauen nach etwas und dieses, wonach sie Ausschau hält, in den Blick zu nehmen und im Blick zu behalten. Die Philosophie ist darum έπιστήμη θεωρητική. Was aber ist das, was sie in den Blick nimmt?

Aristoteles sagt es, indem er die πρώται άρχαι και αίτίαι nennt. Man übersetzt: »die ersten Gründe und Ursachen« — nämlich des Seienden. Die ersten Gründe und Ursachen machen so das Sein des Seienden aus. Es wäre nach zweieinhalb Jahrtausenden an der Zeit, darüber nachzudenken, was denn das Sein des Seienden mit so etwas wie »Grund« und »Ursache« zu schaffen hat.

In welchem Sinne wird das Sein gedacht, daß dergleichen wie


Martin Heidegger (GA 11) Identität und Differenz