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Was ist das — die Philosophie?

Indessen mußten sogar die Griechen die Erstaunlichkeit dieses Erstaunlichsten retten und schützen — gegen den Zugriff des sophistischen Verstandes, der für alles eine für jedermann sogleich verständliche Erklärung bereit hatte und sie auf den Markt brachte. Die Rettung des Erstaunlichsten — Seiendes im Sein — geschah dadurch, daß sich einige auf den Weg machten in der Richtung auf dieses Erstaunlichste, d.h. das σοφόν. Sie wurden dadurch zu solchen, die nach dem σοφόν strebten und durch ihr eigenes Streben bei anderen Menschen die Sehnsucht nach dem σοφόν erweckten und wachhielten. Das φιλεΐν τό σοφόν, jener schon genannte Einklang mit dem σοφόν, die ἀρμονία, wurde so zu einer δρεξις, zu einem Streben nach dem σοφόν. Das σοφόν — das Seiende im Sein — wird jetzt eigens gesucht. Weil das φιλεΐν nicht mehr ein ursprünglicher Einklang mit dem σοφόν ist, sondern ein besonderes Streben nach dem σοφόν, wird das φιλειν τό σοφόν zur »φιλοσοφία«. Deren Streben wird durch den Eros bestimmt.

Dieses strebende Suchen nach dem σοφόν, nach dem Έν Πάντα, nach dem Seienden im Sein wird jetzt zur Frage: Was ist das Seiende, insofern es ist? Das Denken wird jetzt erst zur »Philosophie«. Heraklit und Parmenides waren noch keine »Philosophen«. Warum nicht? Weil sie die größeren Denker waren. »Größer« meint hier nicht das Verrechnen einer Leistung, sondern zeigt in eine andere Dimension des Denkens. Heraklit und Parmenides waren »größer« in dem Sinne, daß sie noch im Einklang standen mit dem Λόγος, d. h. dem "Ev Πάντα. Der Schritt zur »Philosophie«, vorbereitet durch die Sophistik, wurde zuerst von Sokrates und Platon vollzogen. Aristoteles hat dann fast zwei Jahrhunderte nach Heraklit diesen Schritt durch folgenden Satz gekennzeichnet: καὶ δή καὶ τό πάλαι τε καὶ νΰν καὶ άεΐ ζητούμενον καὶ άεΐ άπορούμενον, τί τὸ ὄν; (Met. Z 1,1028 b 2 sqq). In der Übersetzung sagt dies: »Und so ist denn einstmals schon und auch jetzt und immerfort dasjenige, wohin (die Philosophie) sich auf den Weg begibt und wohin sie immer wieder den Zugang nicht findet (das Gefragte dieses): Was ist das Seiende? (τί τὸ ὄν).«

Die Philosophie sucht das, was das Seiende ist, insofern es ist.