φιλόσοφος wurde vermutlich von Heraklit geprägt. Dies besagt: für Heraklit gibt es noch nicht die φιλοσοφία. Ein άνήρ φιλόσοφος ist nicht ein »philosophischer« Mensch. Das griechische Adiectivum φιλόσοφος sagt etwas völlig anderes als die Adiectiva philosophisch, philosophique. Ein άνήρ φιλόσοφος ist derjenige, δς φιλεΐ τό σοφόν((3)), der das σοφόν liebt; φιλειν(4), lieben bedeutet hier im Sinne Heraklits: όμολογειν, so sprechen, wie der Λόγος spricht, d. h. dem Λόγος entsprechen. Dieses Entsprechen steht im Einklang mit dem σοφόν. Einklang ist άρμονία. Dies, daß ein Wesen dem anderen wechselweise sich fügt, daß sich beide ursprünglich einander fügen, weil sie zueinander verfügt sind, diese άρμονία ist das Auszeichnende des heraklitisch gedachten φιλειν, des Liebens.
Der άνήρ φιλόσοφος liebt das σοφόν. Was dieses Wort für Heraklit sagt, ist schwer zu übersetzen. Aber wir können es nach Heraklits eigener Auslegung erläutern. Demnach sagt τό σοφόν dieses: Έν Πάντα, »Eines (ist) Alles«. »Alles«, das meint hier: Πάντα τά δντα, das Ganze, das All des Seienden. "Ev, das Eins meint: das Eine, Einzige, alles Einigende. Einig aber ist alles Seiende im Sein. Das σοφόν sagt: Alles Seiende ist im Sein. Schärfer gesagt: Das Sein ist das Seiende. Hierbei spricht »ist« transitiv und besagt soviel wie »versammelt«. Das Sein versammelt das Seiende darin, daß es Seiendes ist. Das Sein ist die Versammlung — Λόγος.*
Alles Seiende ist im Sein. Solches zu hören, klingt für unser Ohr trivial, wenn nicht gar beleidigend. Denn darum, daß das Seiende in das Sein gehört, braucht sich niemand zu kümmern. Alle Welt weiß: Seiendes ist solches, was ist. Was steht dem Seienden anderes frei als dies: zu sein? Und dennoch: gerade dies, daß das Seiende im Sein versammelt bleibt, daß im Scheinen von Sein das Seiende erscheint, dies setzte die Griechen, und sie zuerst und sie allein, in das Erstaunen. Seiendes im Sein: dies wurde für die Griechen das Erstaunlichste.
((3))> ᾧ φίλον τὸ σοφόν
(4) σφι ... gehören [siehe Nachwort zu GA Bd. 7, S. 297 f.]
* vgl. Vorträge und Aufsätze. 1954, Seite 207-229 [GA Bd. 7, S. 211-234].