Aber wird die Philosophie dadurch nicht zu einer Sache der Affektion, der Affekte und der Gefühle?
»Mit den schönen Gefühlen macht man die schlechte Literatur.« »C'est avec les beaux sentiments que l'on fait la mauvaise littérature.«* Dieses Wort von André Gide gilt nicht nur von der Literatur, es gilt mehr noch für die Philosophie. Gefühle, auch die schönsten, gehören nicht in die Philosophie. Gefühle, sagt man, sind etwas Irrationales. Die Philosophie dagegen ist nicht nur etwas Rationales, sondern die eigentliche Verwalterin der Ratio((1)). Indem wir dies behaupten, haben wir unversehens etwas darüber entschieden, was die Philosophie ist. Wir sind unserer Frage mit einer Antwort schon vorausgeeilt. Jedermann hält die Aussage, daß die Philosophie eine Sache der Ratio sei, für richtig. Vielleicht ist diese Aussage dennoch eine voreilige und überstürzte Antwort auf die Frage: Was ist das — die Philosophie? Denn wir können dieser Antwort sogleich neue Fragen entgegensetzen. Was ist das — die Ratio, die Vernunft? Wo und durch wen wurde entschieden, was die Ratio ist? Hat sich die Ratio selbst zur Herrin der Philosophie gemacht? Wenn »ja«, mit welchem Recht? Wenn »nein«, woher empfängt sie ihren Auftrag und ihre Rolle? Wenn das, was als Ratio gilt, erst und nur durch die Philosophie und innerhalb des Ganges ihrer Geschichte festgelegt wurde, dann ist es kein guter Rat, die Philosophie zum voraus als Sache der Ratio auszugeben. Sobald wir jedoch die Kennzeichnung der Philosophie als eines rationalen Verhaltens in Zweifel ziehen, wird in gleicher Weise auch bezweifelbar, ob die Philosophie in den Bereich des Irrationalen gehöre. Denn wer die Philosophie als irrational bestimmen will, nimmt dabei das Rationale zum Maßstab der Abgrenzung und zwar in einer Weise, daß er wiederum als selbstverständlich voraussetzt, was die Ratio ist.
Wenn wir andererseits auf die Möglichkeit hinweisen, daß das, worauf die Philosophie sich bezieht, uns Menschen in unserem
* André Gide, Dostoïewsky. Paris 1923; p. 247.
((1)) erst in der Philosophie zum Walten kommen.