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Brief über den »Humanismus«

ek-sistiert«, antwortet nicht auf die Frage, ob der Mensch wirklich sei oder nicht, sondern antwortet auf die Frage nach dem »Wesen« des Menschen. Diese Frage pflegen wir gleich ungemäß zu stellen, ob wir fragen, was der Mensch sei, oder ob wir fragen, wer der Mensch sei. Denn im Wer? oder Was? halten wir schon nach einem Personhaften oder nach einem Gegenstand Ausschau. Allein das Personhafte verfehlt und verbaut zugleich das Wesende der seinsgeschichtlichen Ek-sistenz nicht weniger als das Gegenständliche. Mit Bedacht schreibt daher der angeführte Satz in »Sein und Zeit« (S. 42) das Wort »Wesen« in Anführungszeichen. Das deutet an, daß sich jetzt das »Wesen« weder aus dem esse essentiae noch aus dem esse existentiae, sondern aus dem Ek-statischen des Daseins bestimmt. Als der Ek-sistierende steht der Mensch das Da-sein aus, indem er das Da als Lichtung des Seins in »die Sorge« nimmt. Das Da-sein selbst aber west als das »geworfene«. Es west im Wurf des Seins als des schickend Geschicklichen.

Die letzte Yerirrung wäre es jedoch, wollte man den Satz über das eksistente Wesen des Menschen so erklären, als sei er die säkularisierte Übertragung eines von der christlichen Theologie über Gott ausgesagten Gedankens (Dens est ipsum esse) auf den Menschen; denn die Ek-sistenz ist weder die Verwirklichung einer Essenz, noch bewirkt und setzt die Ek-sistenz gar selbst das Essentielle. Versteht man den in »Sein und Zeit« genannten »Entwurf« als ein vorstellendes Setzen, dann nimmt man ihn als Leistung der Subjektivität und denkt ihn nicht so, wie »das Seinsverständnis« im Bereich der »existentialen Analytik« des »In-der-Welt-Seins« allein gedacht werden kann, nämlich als der ekstatische Bezuga zur Lichtung des Seins. Der zureichende Nach- und Mit-vollzug dieses anderen, die Subjektivität verlassenden Denkens ist allerdings dadurch erschwert, daß bei der Veröffentlichung von »Sein und Zeit« der dritte Abschnitt des ersten Teiles, »Zeit und Sein« zurückgehalten wurde (vgl. »Sein


a 1. Auflage 1949: Ungenau, besser: ekstatisches Innestehen in der Lichtung.

15 Heidegger, Gesamtband


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GA 9