46

kung des cogito sum als Ausgangsbasis des neuzeitlichen philosophischen Fragens zuschreibt, untersuchte das cogitare des ego – in gewissen Grenzen. Dagegen läßt er das sum völlig unerörtert, wenngleich es ebenso ursprünglich angesetzt wird wie das cogito. Die Analytik stellt die ontologische Frage nach dem Sein des sum. Ist dieses bestimmt, dann wird die Seinsart der cogitationes erst faßbar.

Allerdings ist diese historische Exemplifizierung der Absicht der Analytik zugleich irreführend. Eine ihrer ersten Aufgaben wird es sein zu erweisen, daß der Ansatz eines zunächst gegebenen Ich und Subjekts den phänomenalen Bestand des Daseins von Grund aus verfehlt. Jede Idee von »Subjekt« macht noch – falls sie nicht durch eine vorgängige ontologische Grundbestimmung geläutert ist – den Ansatz des subjectum (ὑποκείμενον) ontologisch mit, so lebhaft man sich auch ontisch gegen die »Seelensubstanz« oder die »Verdinglichung des Bewußtseins« zur Wehr setzen mag. Dinglichkeit selbst bedarf erst einer Ausweisung ihrer ontologischen Herkunft, damit gefragt werden kann, was positiv denn nun unter dem nichtverdinglichten Sein des Subjekts, der Seele, des Bewußtseins, des Geistes, der Person zu verstehen sei. Diese Titel nennen alle bestimmte, »ausformbare« Phänomenbezirke, ihre Verwendung geht aber immer zusammen mit einer merkwürdigen Bedürfnislosigkeit, nach dem Sein des so bezeichneten Seienden zu fragen. Es ist daher keine Eigenwilligkeit in der Terminologie, wenn wir diese Titel ebenso wie die Ausdrücke »Leben« und »Mensch« zur Bezeichnung des Seienden, das wir selbst sind, vermeiden.

Andrerseits liegt aber in der rechtverstandenen Tendenz aller wissenschaftlichen ernsthaften »Lebensphilosophie« – das Wort sagt so viel wie die Botanik der Pflanzen – unausdrücklich die Tendenz auf ein Verständnis des Seins des Daseins. Auffallend bleibt, und das ist ihr grundsätzlicher Mangel, daß »Leben« selbst nicht als eine Seinsart ontologisch zum Problem wird.

W. Diltheys Forschungen werden durch die ständige Frage nach dem »Leben« in Atem gehalten. Die »Erlebnisse« dieses »Lebens« sucht er nach ihrem Struktur- und Entwicklungszusammenhang aus dem Ganzen dieses Lebens selbst her zu verstehen. Das philosophisch Relevante seiner »geisteswissenschaftlichen Psychologie« ist nicht darin zu suchen, daß sie sich nicht mehr an psychischen Elementen und Atomen orientieren und das Seelenleben nicht mehr zusammenstücken will, vielmehr auf das »Ganze des Lebens« und die »Gestalten« zielt – sondern daß er bei all dem vor allem unterwegs war zur Frage nach dem »Leben«. Freilich zeigen sich hier auch am stärksten


Martin Heidegger - Sein Und Zeit