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ontologische Erkenntnis geben, deren faktischen Bestand man wohl nicht leugnen wird. Das »Sein« wird zwar in aller bisherigen Ontologie »vorausgesetzt«, aber nicht als verfügbarer Begriff –, nicht als das, als welches es Gesuchtes ist. Das »Voraussetzen« des Seins hat den Charakter der vorgängigen Hinblicknahme auf Sein, so zwar, daß aus dem Hinblick darauf das vorgegebene Seiende in seinem Sein vorläufig artikuliert wird. Diese leitende Hinblicknahme auf das Sein entwächst dem durchschnittlichen Seinsverständnis, in dem wir uns immer schon bewegen, und das am Ende zur Wesensverfassung des Daseins selbst gehört. Solches »Voraussetzen« hat nichts zu tun mit der Ansetzung eines Grundsatzes, daraus eine Satzfolge deduktiv abgeleitet wird. Ein »Zirkel im Beweis« kann in der Fragestellung nach dem Sinn des Seins überhaupt nicht liegen, weil es in der Beantwortung der Frage nicht um eine ableitende Begründung, sondern um aufweisende Grund-Freilegung geht.

Nicht ein »Zirkel im Beweis« liegt in der Frage nach dem Sinn von Sein, wohl aber eine merkwürdige »Rück- oder Vorbezogenheit« des Gefragten (Sein) auf das Fragen als Seinsmodus eines Seienden. Die wesenhafte Betroffenheit des Fragens von seinem Gefragten gehört zum eigensten Sinn der Seinsfrage. Das besagt aber nur: das Seiende vom Charakter des Daseins hat zur Seinsfrage selbst einen – vielleicht sogar ausgezeichneten – Bezug. Ist damit aber nicht schon ein bestimmtes Seiendes in seinem Seinsvorrang erwiesen und das exemplarische Seiende, das als das primär Befragte der Seinsfrage fungieren soll, vorgegeben? Mit dem bisher Erörterten ist weder der Vorrang des Daseins erwiesen, noch über seine mögliche oder gar notwendige Funktion als primär zu befragendes Seiendes entschieden. Wohl aber hat sich so etwas wie ein Vorrang des Daseins gemeldet.



§ 3. Der ontologische Vorrang der Seinsfrage


Die Charakteristik der Seinsfrage am Leitfaden der formalen Struktur der Frage als solcher hat diese Frage als eigentümliche verdeutlicht, so zwar, daß deren Ausarbeitung und gar Lösung eine Reihe von Fundamentalbetrachtungen fordert. Die Auszeichnung der Seinsfrage wird aber erst dann völlig ins Licht kommen, wenn sie hinsichtlich ihrer Funktion, ihrer Absicht und ihrer Motive zureichend umgrenzt ist.

Bisher wurde die Notwendigkeit einer Wiederholung der Frage einmal aus der Ehrwürdigkeit ihrer Herkunft motiviert, vor allem aber


Martin Heidegger - Sein Und Zeit