104             §25. Das Grundphärioinen der Kenntnisnahme
    
       
        Schweizerstumpen, die ich in meine wirkliche Mappe stecke, 
        existieren wirklich; der Herr hinterm Ladentisch ist wirklich 
        begeistert; der Straßenjunge macht wirklich diesen Hund wütend, 
        benimmt sich wirklich ungezogen; der zaghafte und verzweifelte 
        Anfänger in der Phänomenologie, dem ich Mut mache, ist 
        wirklich zaghaft und mit sich selbst unzufrieden.
                b) Bedeutsamkeit als Wirklichkeitscharakter des
faktischen Lebens
        Was ich da erfahre, ist faktisch wirklich — existiert. Welches ist 
        der Sinn dieser »Existenz«? Wenn wir Antwort auf diese Frage 
        wollen, muß alles über Existenzbegriff und alle erkenntnistheoretischen 
        Beweise und Erklärungen fortbleiben; sondern es 
        kommt darauf an, den phänomenalen Sinn des »wirklich« herauszusehen, 
        in dem ich lebe und von dem ich im faktischen Leben 
        nicht etwas ausdrücklich theoretisch weiß. Sofern ich faktisch 
        in all dem Gesagten lebe, mit ihm je nach seinem Gehalt 
        so und so beschäftigt, daran so und so beteiligt bin, hat alles 
        Erfahrene — es mag inhaltlich so heterogen sein wie immer — 
        denselben Sinn von Existenz. Man muß dabei alle Theoretisierungen 
        wegdenken, nicht das heranziehen, was ein Erkenntnistheoretiker 
        darüber sagt, sondern sehen den Sinn, in dem das 
        faktische Erfahren sein Erfahrenes erneut und immer im 
        Charakter der Bedeutsamkeit hat. Auch das Trivialste ist bedeutsam, 
        nur eben trivial; auch das Wertloseste ist bedeutsam.
        Teetrinkend nehme ich meine Tasse in die Hand; im Gespräch 
        habe ich meine Tasse vor mir stehen. Es ist nicht so, daß 
        ich etwas Farbiges oder gar Empfindungsdaten in mir als Ding 
        auffasse und dieses Ding als Tasse, die in Raum und Zeit 
        bestimmt ist, etwas, das in Wahrnehmungssukzessionen sich gibt, 
        eventuell auch nicht existieren könnte. »Meine Tasse aus der 
        ich trinke« — in der Bedeutsamkeit erfüllt sich ihre Wirklichkeit, 
        sie ist sie selbst. Ich lebe faktisch immer bedeutsamkeitsgefangen, 
        und jede Bedeutsamkeit hat ihren Umring von neuen Bedeutsamkeiten:

Martin Heidegger (GA 58) Grundprobleme der Phänomenologie