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These der mittelalterlichen Ontologie

Ordnung des Auffassens dringe ich durch das Aussehen eines Dinges hindurch zu seinem Gepräge. Das letztere ist in der Ordnung des Wahrnehmens das sachlich erste. Wenn aber das Verhältnis von Aussehen und Gepräge in der Antike umgekehrt liegt, kann nicht die Ordnung des Wahrnehmens und das Wahrnehmen der Leitfaden ihrer Interpretation sein, sondern der Hinblick auf das Herstellen. Das Geprägte ist, wie wir auch sagen können, ein Gebilde. Der Töpfer bildet aus Ton einen Krug. Alles Bilden von Gebilden vollzieht sich am Leitfaden und am Richtmaß eines Bildes im Sinne des Vorbildes. Im Hinsehen auf das vorweggenommene Aussehen des zu bildenden, prägenden Dinges wird dieses hergestellt. Dieses vorweggenommene und zuvor gesichtete Aussehen des Dinges ist es, was die Griechen mit εἶδος, ἰδέα ontologisch meinen. Das Gebilde, das nach dem Vorbild gebildet ist, ist als solches das Ebenbild des Vorbildes.

Wenn das Gebilde, das Gepräge (μορφή) im εἶδος fundiert ist, so heißt das, daß beide Begriffe mit Rücksicht auf das Bilden, Prägen, Herstellen verstanden sind. Aus dem Vollzug des Bildens und Prägens und dem dazu notwendig gehörenden Vorwegnehmen des Aussehens des zu Bildenden ist die Ordnung und der Zusammenhang dieser beiden Begriffe fixiert. Das vorweggenommene Aussehen, das Vor-bild, zeigt das Ding, was es vor der Herstellung ist und wie es als Hergestelltes aussehen soll. Das vorweggenommene Aussehen ist noch nicht als Geprägtes, Wirkliches entäußert, sondern es ist das Bild der Ein-bildung, der φαντασία, wie die Griechen sagen: was das Bilden zuvor sich frei zu Gesicht bringt, das, was gesichtet wird. Es ist kein Zufall, daß Kant, bei dem noch die Begriffe von Form und Materie, μορφή und ΰλη, erkenntnistheoretisch eine fundamentale Rolle spielen, zugleich der Einbildungskraft eine ausgezeichnete Funktion bei der Aufklärung der Objektivität der Erkenntnis zuweist. Das εἶδος als das in der Einbildung vorweggenommene Aussehen des zu Prägenden gibt das Ding hinsichtlich dessen, was dieses vor


Martin Heidegger (GA 24) Die Grundprobleme der Phänomenologie