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§ 13. Fortsetzung: τέχνη und ἐπιστήμη

Jedoch: ἀλλ' οὐ λέγουσι τὸ διὰ τί περὶ οὐδενός (Met. 1,1; 981b11 sq), die αίσθήσεις geben von keiner Gegebenheit, die sich ihnen zeigt, das Warum an. Darum schreibt das natürliche Dasein ihnen nicht den Charakter der σοφία zu.

Andererseits liegt, wie gesagt, in der τέχνη selbst die Tendenz, sich von der Hantierung frei zu machen und eigenständige ἐπιστήμη zu werden. Daß diese Tendenz im Dasein selbst liegt, das zeigt sich für Aristoteles daran, daß ein τεχνίτης, der, wie wir sagen, etwas »ent-deckt«, bewundert wird, τον όποιανοϋν εύρόντα τέχνην παρά τάς κοινάς αίσθήσεις θαυμάζεσθαι ύπό τῶν ανθρώπων μή μόνον διά τό χρήσιμον είναί τι τῶν ευρεθέντων άλλ' ώς σοφόν καὶ διαφέροντα τῶν ἄλλων (b13 sqq). »Der τεχνίτης, der über das hinaus, was jeder sieht, etwas ›ent-deckt‹, wird bewundert«, d. h. er wird geschätzt als ein sich Unterscheidender, als einer, der etwas macht, was man selbst nicht kann, und zwar »nicht etwa, weil das, was er erfindet, von großem Nutzen wäre«, sondern weil er weiter im Erfassen des Seienden vordringt, mag die Sache, die er entdeckt, groß oder klein sein: weil er σοφώτερος ist. Dieses Entdecken ist das Hinausgehen über die nächsten Möglichkeiten, die das Dasein hat. So bekundet sich in der Bewunderung, die das alltägliche Dasein austeilt, daß im Dasein selbst eine besondere Schätzung des Ent-deckens lebendig ist Das Dasein hat selbst die Tendenz, das Seiende zu entdecken und nur zu entdecken, und dies, wie Aristoteles betont μή προς χρήσιν (b19 sq), »abgesehen von jedem Nutzen«. So wird auch Folgendes verständlich: je weniger das τεχνάζειν und die ἐπιστήμη orientiert sind πρὸς τάναγκαϊα und πρὸς διαγωγήν (b18), auf die Dringlichkeiten des Lebens und auf den Zeitvertreib, umso mehr spricht das Dasein diejenigen, die solches verrichten, als αοφώτεροι an.

Die Entwicklung der ἐπιστήμη geht nun so weiter1. Sobald die τέχναι und έπιστήμαι gefunden waren, die gefordert sind πρὸς τά αναγκαία, für die Dringlichkeiten des Lebens, und πρὸς την ήδονήν, für die Erholung und das Vergnügen, konnte das Dasein, unbeschwert von diesen Dringlichkeiten, sich ganz der Betrachtung widmen.


1 Vgl. Met. 1,1; 981b20 sqq.


Martin Heidegger (GA 19) Platon Sophistes